Was ist der Karst? In wenigen Worten die Antwort zu finden ist nicht einfach. Der Triestiner Karst ist Landschaft, auf den ersten Blick felsig und rau. Auf den zweiten Blick ist er wild-üppige Vegetation, am augenfälligsten die rosa Perückensträucher, die im Herbst alle Rottöne spielen. Der Karst bedeutet aber vor allem auch autochthone Weine und echte Gastlichkeit. Und er ist: die fest verwurzelten Menschen, die ihn bewohnen, bearbeiten – und beleben.
Das kleine Territorium, dessen genaue Ausdehnung unterschiedlich definiert wird, umfasst wohl mehr ein Gefühl als ein klar abgestecktes Land. Auf der Hochebene über dem Golf von Triest, etwa 40 Kilometer lang und 13 Kilometer breit, ticken die Uhren etwas „anders“. Das Gebiet ist zweisprachig italienisch und slowenisch und reicht circa vom Collio südwärts über die Adria bis nach Nordistrien. Kommt man von Triest herauf, wo es oft hektisch zugeht und der Autoverkehr erbarmungslos auf der schönen Uferstraße, den Rive, durchbraust, fühlt man sich nach wenigen Kurven stadtauswärts in einer entspannteren Welt.
Das Gebiet ist dünn besiedelt, die schmalen Straßen sind häufig von typischen Karsttrockenmauern gesäumt und man wundert sich, wo denn hier die Menschen sind. Irgendwo muss es sie doch geben, die Bewohner, und auch die Besucher! Meist ist es still hier, die unzähligen kleinen Örtchen bestehen aus einer unaufgeregten Ansammlung von Wohnhäusern, einem Platz mit Kirche, einem kleinen Sportplatz, manchmal einem Gemeindeamt. In den Karst kommt, wer die Natur liebt. Um zu radeln, spazieren und vor allem zu wandern. Es gibt eine Vielzahl markierter Routen. Besonders schön und beliebt auch bei den Einheimischen: Die Strada Napoleonica und der Sentiero della Salvia, recht einfache Wege mit majestätischem Ausblick auf das tiefblaue Meer.
Wenn die Osmiza geöffnet hat
Lebhafter wird es in den Karstdörfchen, wenn es etwas zu feiern gibt. Und das kann einfach ein Sonntag in der Osmiza sein … Letztere sind die urigen Buschenschenken, die wie in Österreich mit einem Buschen, der frasca, gekennzeichnet sind, wenn sie offen halten. Und dabei beginnt man den Spannungsbogen zu entdecken, der sich im Karst auftut. Denn Gastgeber sind die Winzer in ihrer großen Bandbreite: Vom Kleinstproduzenten mit 5000 Flaschen Jahresproduktion bis zum „Starwinzer“, dessen Weine auch in New York und Tokyo genussfreudige Kenner begeistern.
Was die Winzer des DOC-Weinbaugebiets Carso Kras in ihrer Unterschiedlichkeit eint? Eine bedingungslose Hingabe zu ihrem Land und zur Qualität in dem, was sie tun. Besonderes Augenmerk haben sie auf ihre autochthonen Weine: Vitovska und Malvasia in Weiß, Refosco und Terrano in Rot.
Die vier autochthonen Weine
- Die Vitovska-Traube gilt als die „Königin des Karsts“. Seit Jahrhunderten wird sie hier angebaut. Ihr Wein ist das Vorzeigeprodukt der Weinbauregion um Triest. Merkmale: Trocken, mineralisch und würzig, Mandelfinale. In der Nase elegant und fruchtig, Gewürzkräuter-Noten. Wird er mazeriert und damit als „Orange Wein“ ausgebaut: Gelbe reife Frucht, Wiesenblumen und Heu.
- Von der Malvasia-Traube gibt es weltweit zahlreiche Varietäten und beinah ebenso viele Weine: von weiß über süß bis hin zu rot und gar als Schaumwein! Hierher wurde die Rebe vermutlich von den Venezianern aus Griechenland gebracht! Merkmale: Elegant und trocken, würzig, mit Mandeltönen im Abgang. Floreal und aromatisch. Als Orange Wein: Gelbe reife Frucht, Gewürze, Balsamnoten und Gewürzkräuter.
- Der Refosco ist in ganz Friaul-Julisch Venetien und bis ins slowenische Istrien weit verbreitet. Im Karst stammt er meist von der Variante dal peduncolo rosso, also vom „rotstieligen“ Refosco. Merkmale: Intensives Rubinrot mit violetten Anklängen. Rote Früchte, Gewürze. Angenehme Säure, zurückhaltende Tannine.
- Und wenn man von Terrano spricht, meint man den Wein, denn gemacht wird er aus der Refosco-Traube! In diesem Fall meist dal peduncolo verde, also vom „grünstieligen“. Der Terrano darf außerdem nur in den Provinzen Triest und Gorizia sowie im nahen Slowenien produziert werden. Merkmale: Rubinrot mit violetten Reflexen. Aromen von Himbeeren und Brombeeren. Lebhafte Säure, wenig Tannine.
Karstweine haben Charakter
Auch die Böden, auf dem die Weine gedeihen, könnten unterschiedlicher nicht sein: Hier gibt es vor allem die faszinierend sattrote terra rossa mit hohem Eisengehalt und die terra gialla in der sogenannten Flyschzone (rund um Muggia) – und das innerhalb weniger Kilometer. Dazu kommen Trockenheit im Sommer und in der kühleren Jahreszeit die böige Bora, die das Land mit bis zu 170 Kilometern pro Stunde durchrütteln kann. Diese herausfordernden Umstände beeinflussen natürlich die Weine, denn dieselbe Rebsorte bringt oft vollkommen unterschiedliche Ergebnisse hervor.
Genau diese Vielfältigkeit gehört aber zu den bestechendsten Eigenschaften der Karstweine. Und: Sie sind wie die Menschen, von denen sie gemacht werden. Wiewohl auch hier stets betont wird, dass gute Weine im Weingarten entstehen und der Mensch ja nur mehr für das Grande Finale zuständig ist. Mit einem Wort zusammengefasst: Das alles ist das berühmte Terroir, und darauf kommt es eben an!
Aufgrund ihrer Charakterstärke passen die Weine aus dem Triestiner Karst in keine große Schublade von Allerweltsweinen. International gesehen spielen die Karstweine in der Liga der Naturweine. Insgesamt werden im Weinbaugebiet Karst jährlich 600.000 Flaschen produziert. Jede von ihnen ist ein Stück Handwerk.
Tiefe Wurzeln: Dimitri Cacovich
Einer der Winzer von „Carso Kras“ ist der mit 23 Jahren junge, aber umso versiertere Dimitri Cacovich. In seiner Azienda Agricola im Dörfchen Longera, gleich vor den Toren Triests, produziert er sieben Weine, darunter die autochthonen Vitovska, Refosco und Terrano. Außerdem interessante Cuvées, deren Namen wie Stenčnik (Vitovska, Malvasia, Sauvignon und Ribolla Gialla) oder Narjoušna (50 % Merlot, 50 % Refosco) sich auf örtliche Phänomene von Wind und Boden beziehen.
Für Gäste gibt es bei ihm rotweißrot-karierte Tischdecken im Verkostungsraum und herzhafte Köstlichkeiten aus der Umgebung. Olivenkäse, eigenen Honig, Prosciutto. Er zeigt auch gerne das Herzstück seines Hauses her: den Weinkeller. Diesen erreicht man, wenn Dimitri im Vorhaus die Klappe vom Fußboden hebt. Dann geht es hinab in das kleine Reich der Edelstahltanks, denn Holzausbau gibt es bei ihm keinen.
Der Ururgroßvater hat hier im Jahr 1900 die erste Osmiza eröffnet, unter dem heutigen Wohnzimmer wohnten die Kühe, vor dem Haus die Schweine und im Weingarten die Bienen.
Auch Dimitri ist seit Jugendtagen schon Imker und in seiner „Terra“ fest verwurzelt. Im Abwägen, ob er nicht doch im Ausland ein Studium an seine Elektrotechnik-Ausbildung anhängen sollte, kam er zu dem Schluss, dass er sein Land und seine Bienenstöcke um keinen Preis der Welt aufgeben will.
So hat er sich entschlossen, den Familienbetrieb fortzuführen und zu modernisieren. Auf seinen zweieinhalb Hektar arbeitet er nach biologischen Kriterien, fast alles händisch und legt großen Wert auf Präzision in der Weingarten- und Kellerarbeit. Kopfzerbrechen macht ihm dabei der Klimawandel: „Wir hatten jetzt drei katastrophale Honigernten hintereinander. Normalerweise habe ich vier Sorten – Blüten-, Akazien-, Kastanien- und Lindenhonig. Heuer sind es nur zwei …“
Wie ein Felsen: Sandi Škerk
An die 20 Kilometer entfernt befindet sich das Weingut von Sandi Škerk in Prepotto. Der Winzer ist so etwas wie ein Aushängeschild in Sachen Karstweine, der Keller hingegen hat keines: Er liegt etwas versteckt unterhalb der Häuseransammlung des Dörfchens, nach Westen hin ausgerichtet. Rundum Weinkulturen, teils in seltener Pergola-Reberziehung. Und daneben und davor erblickt man – Steine, Steine, Steine … mächtige Felsstücke, kleinere Brocken, der Erde entnommen und wieder zusammengefügt zu einem neuen Ganzen. Genau so realisiert hier der Qualitätsfreak Škerk seinen Traum von Cantina: Große Fässer, kleinere Barriques, Edelstahltanks und nicht zuletzt meterlange Reihen von Rüttelpulten schmiegen sich eindrucksvoll in den ausgehöhlten Karstfelsen.
Handarbeit im neuen Weinkeller heißt, Felsen und gewonnenes Gestein zusammenzufügen.
Die Nähe zu ihren Elementen ist den Menschen im Karst im Blut: Sie leben vollkommen bewusst mit dem Wind, der besonderen Erde, dem allgegenwärtigen Gestein und der dazugehörigen Unterwelt mit Grotten und Quellen. Und so fühlen sich auch ihre Weine (und andernorts der Höhlenkäse), wie es scheint, ausgesprochen wohl in dem außergewöhnlichen Ambiente unter der Erde.
Die magische Kulisse unter der Erde. Der Glera-Spumante „1810“ hat 5 Jahre Zeit zum Reifen. Doch es gibt nur 700 Flaschen pro Jahr. Und sie sind ausverkauft, bevor sie das Tageslicht erblicken.
Der Ograde 2019 ist ein edler Blend aus Malvasia, Vitovksa, Sauvignon und Pinot Grigio und erfährt 10 bis 15 Tage Mazeration. Zwei Monate nach Abfüllung: Gut, aber aus.
Sandi Škerks Weine entstehen in ausschließlicher Handarbeit, die Rebfläche von zehn Hektar soll auch nicht wachsen. „Wir wollen den Überblick behalten.“ Demzufolge sind die 25.000 bis 30.000 produzierten Flaschen pro Jahr heiß begehrte Ware. Seine Kellertechnik ist hoch entwickelt, alle Weine durchlaufen mehrere Vinifikationsschritte und jeder von ihnen wird im Holz ausgebaut.
Mit zwei Jahren dürfen die unfiltrierten Kostbarkeiten erstmals in den Vertrieb. Die Haupt-Rebsorten bei Škerk sind Vitovska und Malvasia. Sie haben das beste Potenzial, um in Würde zu altern – heißt, dass sie auch nach zehn Jahren die ideale Trinkreife aufweisen können. Der Terrano hingegen wird traditionell jung getrunken. Mit seiner relativ hohen Säure ist er ein idealer Begleiter zu deftigen Cotechino-Würsten oder Schmorgerichten wie Gulasch. Es lebe der Karst und seine multikulturelle Kulinarik!
Und das schon traditionell gelebte Bewusstsein für Nachhaltigkeit gilt natürlich ebenso für die kulinarischen Grundprodukte aus nächster Nähe, weshalb die Karstwinzer mit Slow Food Italia zusammenarbeiten. Der global und lokal geschärfte Blick Richtung Zukunft gehört im Karst zum Mindset.
Dem sich seit jeher auch Sandi Škerk verschrieben hat. Zeugnis davon: Die neue Baustelle, schon gut sichtbar neben dem Haus und ein Projekt für die kommenden Jahre. Am Ende soll hier Platz für einen Degustationsraum mit Weitblick sein. Bei Schönwetter bis in die Lagune von Grado. Na dann: Das Leben darf gefeiert werden!
Kontakte und Info
trieste.green, Informationen zu Winzern, Produkten, Aktivitäten (auf Italienisch, Deutsch, Slowenisch)
Carso Kras Wine Club, Informationen zu den Winzern (auf Italienisch, Slowenisch)
Dimitri Cacovich, Strada per Longera 328, 34128 Longera TS
Sandi Škerk, Località Prepotto 21/A, 34011 Duino-Aurisina TS
Fotos: Dimitri Cacovich (2), Robi Jakomin (1), alle anderen: Nicole Richter
DAS IST WIRKLICH AUSGESPROCHEN TOLL GEMACHT = ICH BIN SCHWERST BEEINDRUCKT UND ERSTAUNT DIESER UMFASSEND BREITEN UND INHALTSVOLLEN ERFAHRUNGEN DER AUTORIN DIE SIE MIT UNS GROSSZÜGIG TEILT: HÖCHST PROFESSIONELL UND UNGEMEIN INTERESSANT MOTIVIEREND UND INSPIRIEREND = DANKESCHÖN!!!
ICH HABE LUST & FREUDE NACH MEHR : MEINEN ALLERHERZLICHSTEN GLÜCKWUNSCH! UND ICH GRATULIERE WERTSCHÄTZEND UND BEGEISTERT ♥️
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