Biowein

Vom Leben der Bioweine

Was heißt Biowein? Einfach schauen, was herauskommt? Oder sich ganz bewusst mit der Natur auseinanderzusetzen, sie zu verstehen und zu respektieren? Mit ihr zusammenzuarbeiten! Wie das geht, ist hier nachzulesen.

„Es gibt keinen Grund, konventionelle Weine zu machen.“ Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Gleichzeitig fängt hier erst eine Art Liebesgeschichte an. Zitatgeberin ist übrigens Eva Schnabel, Weinbäuerin aus dem Sausal in der Südsteiermark.

Ich habe mich wieder einmal auf den Weg gemacht, weil ich mehr über Biowein wissen wollte. Diesmal in der Südsteiermark! Und dabei habe ich nicht nur Steigungen, sondern auch Steigerungsstufen erklommen. So bin ich vom qualitätsvollen biologisch hergestellten Wein ausgehend am Ende beim Natural Wine gelandet. Dort, wo die Weinbauern ihre Trauben beinah einzeln kennen.

Stairway to heaven: Begegnung mit höchster Qualität, Bekömmlichkeit und Nachhaltigkeit in Sachen Wein.

Hügelauf, hügelab zum Biowein

Als Genussmensch wähnt man sich im Süden der Steiermark ohnehin im Paradies. Die Lieblichkeit der Landschaft, die trotzdem unglaubliche Steillagen von 49 Grad (!) hervorbringt, und zwar im Sausaler Gebiet, ist Balsam für das Auge. Für die Seele. Und der Körper? Schwelgt kulinarisch im – nahen – siebenten Himmel. Und wenn er, also der Körper, uns hügelauf- und hügelabwärts trägt, manchmal durch feuchte, lehmige Bachstellen hindurch, spürt man, dass entweder zu viel oder noch zu wenig vom guten Wein die Kehle hinunter geflossen ist. Und schwört, dass Wandern in den Weinbergen genauso anstrengend sein kann wie im Hochgebirge. Gleichzeitig lässt sich ansatzweise erahnen, wie fordernd Weingartenarbeit ist, vor allem wenn sie händisch erfolgt.

Die Zugänge zum Biowein sind unterschiedlich. Die Richtlinien dafür, was im Weinbau biologisch ist und noch weiter geht, etwa biodynamisch, Demeter-zertifiziert oder eben total „Natural“, sind zwar definiert. Aber was genau dahintersteckt, lässt sich erst bei genauerem Hinsehen – und Verkosten – begreifen.

Bio ist also nicht gleich bio. Interessant ist dabei ganz allgemein, wie viel ein Winzer darüber auf seinen Etiketten verrät. Manchmal gar nichts – weil er sich den Überzeugungsbedarf vom Leib halten will! Manchmal zumindest ein wenig, eher einsilbig. Richtig auskunftsfreudig sind Weinflaschen ja generell nicht: Wein gehört zu den am wenigsten genau gekennzeichneten Lebensmitteln!


Domaene Hirschmugl, Seggauberg

Als Auftakt unserer Tour erwartet uns das Weingut Domaene Hirschmugl am Seggauberg bei Leibnitz. Ein erhöht gelegener Bau, wie man ihn in Frankreich auch finden könnte. Imposant, modern, mit stilvollem Inneren: Die Vinothek perfekt ausgeleuchtet, mit stylishen Kendo-Weinflaschen bestückt. Den Saal mit Rundumblick in die hügelige Umgebung dominiert ein mächtiger Jugendstil-Luster.

Ins Auge springt sofort die Natter auf den Etiketten der Weinflaschen. Dort ist sie manchen vielleicht lieber als im Weingarten – dennoch sind die lautlosen Bewohnerinnen im Ökosystem äußerst willkommen. Sie halten beispielsweise die Mäuse in Schach. Und auch die Extraproduktpalette wie Honig, Gin oder Essig trägt unterschiedliche Tiere auf den Etiketten.

Die mittlerweile 18 Hektar Weingärten werden alle biologisch bewirtschaftet, erzählt mir die junge Mitarbeiterin, Gastrofachfrau Victoria Sturm. Als die Besitzer Astrid und Toni Hirschmugl 2008 hier, in einem ehemaligen Obstbauernhof, mit Wein begonnen haben, entschieden sie sich zunächst für die „pilzwiderstandsfähigen“ PiWi-Rebsorten: Diese tragen ungewohnte, aber klingende Namen wie Muscaris, Cabernet Blanc oder Cabertin. Später kamen weitere, alte Rieden und damit auch klassische Rebsorten dazu.

Nattern, Spechte, Gottesanbeterinnen auf den Etiketten:
Die Tierliebe bei den Hirschmugls ist groß, zeigt mir Victoria Sturm.

Passend zum Haus mit dem einladenden Portal der schöne, feinperlige Sekt „Decto Rosso“ aus Zweigelt und St. Laurent – im hippen Roséton gehalten, und mit Sicherheit ein Renner in dieser Hochzeitslocation. Ebenso elegant die Perlhühner gleich an der Einfahrt zum Haus. Sie haben es gut, denn sie stehen unter dem besonderen Schutz der Hausherrin und dürfen hier – einfach leben. Und meist sogar im Garten herumlaufen.


Weingut Tauss, Leutschach

Durchaus gegensätzlich das Ankommen beim Weingut Tauss in Leutschach, schon ganz im Süden der Südsteiermark. Es tuckert gerade ein Traktor heran. An Bord Roland Tauss – und eine Fuhr frisch geernteter weißer Trauben, die sofort verarbeitet werden wollen. Die typischen steilen Weinhänge hinter dem Haus sind mit dunklen Punkten durchsät: die Erntehelfer geben ihr Bestes, um die herrlichen, reifen Trauben sorgfältigst zu lesen. Am höchsten Punkt, auf 450 Meter, erblicke ich eine kleine Kapelle, sie leuchtet hell im Sonnenlicht. Da muss ich hinauf!

„Ich will für das Leben arbeiten. Meine Weine sind nicht tot, sondern vital! Sie sind so natürlich, dass sie auch zehn Jahre problemlos lagerfähig sind. Reine Spontanvergärung, keine Schönung, nichts. Alles in Handarbeit!“, betont Roland Tauss energisch, während ich andächtig seine Weine verkoste.

Seit 2005 arbeitet er auf 6 Hektar biodynamisch und ist Demeter-zertifiziert. Die sechs Weißwein- und drei Rotweinsorten, allesamt klassische Rebsorten wie etwa Chardonnay, Sauvignon Blanc oder Blaufränkisch, werden von ihm gehegt und gepflegt und – „entweder gscheit oder gor net“ – zu Spitzenweinen gekeltert.

Seine Opok-Böden, also brüchiges, karges Mergelgestein, in Friaul als Ponca bekannt, sind der beste Untergrund für terroirreiche, mineralische Weine. Die Lagen Opok und Hohenegg befinden sich außerdem in privilegierter Ausrichtung: nach Süden. Wäre ich ein Wein, würde ich auch hier am besten gedeihen.

Blick Weingut Tauss Richtung Slowenien
Gesunde Reben in einer begnadeten Lage, mit Blick Richtung Slowenien.
Die Weine von Roland Tauss sind der Inbegriff von Individualität und Terroir. Auch ein Spiegel des Winzers.

Ein Privileg ist ebenso, diese Weine, nein, nicht trinken – genießen zu dürfen: Sie sind ehrlich, authentisch, gehaltvoll, sie sind blumig und mineralisch. Ganz trocken. Und man beginnt zu verstehen, wie Wein einstmals geschmeckt haben muss, bevor er vielerorts mit eher reichlich Technik „optimiert“ wurde.

Die „Schaffellwutzerl“ haben die Jäger aufgehängt: Sie sollen das Wild von den allzu schmackhaften Trauben fernhalten.
Der Klapotetz der Familie Tauss ist ein romantischer Kraftort, an dem man gerne verweilen möchte.

Weingut Karl Schnabel, Gleinstätten

Und damit zurück zu Eva Schnabel, die gemeinsam mit Ehemann Karl seit 2000 den Ermihof in Gleinstätten und damit die drei Weingärten Hochegg, Koregg und Kreuzegg im Sausal bewirtschaftet.

Dazu ein wenig Geologie gefällig? Das Sausal war einst ein Monster von Berg. Als sich die Alpen vor Millionen von Jahren aufgefaltet haben, schoben sie den Kegel nach oben – und das Sausal ragte immer noch heraus! Somit wurde das Gebiet nie von einem Urmeer überflutet. Heißt: Keine Kalkablagerungen im Boden. Reines Schiefergestein.

Der weite Blick vom Weingarten Kreuzegg reicht im Westen bis zur Koralpe.

Das macht bei entsprechendem Können mineralische, filigrane, elegante Weine, die bitteschön eine ebensolche Behandlung verdienen. Beinah mit Samthandschuhen werden sie in ihrem gesamten Entstehungsprozess angefasst. Letztlich auch von mir.

Vor zwanzig Jahren waren die Schnabels, wie die Kollegen oben, Quereinsteiger. Haben viel gewagt – und mittlerweile viel gewonnen, nämlich Ansehen in der ganzen Welt. Sie haben sich ihrer Überzeugung hingegeben: Es kann nur ein echter Wein sein. Einer mit Seele!

Als es noch keine Definitionen, Bewertungen oder Guides dafür gab, hat schon Evas Schwiegervater biologischen Weinbau betrieben. „Einfach Wein halt“, wie sie sagt. Die Böden haben demzufolge noch nie Gift gesehen. Hier musste man nicht „umstellen“ und auf eine Zertifizierung warten. Es war nie anders.

So wie es früher war: An seinen Weingarten lässt Karl nur die Sense. Und sonst so gut wie nichts.

Trotzdem, die Natural Wines der Schnabels waren zu Beginn eher etwas für „spinnerte“ Exoten. Sie aber wollten noch weiter gehen. So haben sie sich auch in Frankreich intensiv weitergebildet und gehören dem ursprünglich französischen Verein S.A.I.N.S. an, dessen internationale Mitglieder sich vorbehaltlos dem „Ohne“ verschreiben. Keinerlei Zusatzstoffe, nur eigene Hefen und, ganz wichtig, kein Schwefel.

Hier steht’s geschrieben: Welcher Wein was „darf“! Quelle: www.vinsnaturels.fr

Seit 2007 sind die Weine vom Ermihof also komplett sulfatfrei. Und längst listen die Edeltropfen in den Toprestaurants Dänemarks oder Kanadas. Werden von Japanern und Australiern und natürlich Österreichern gleichermaßen geliebt, wie Eva mit bescheidener Überraschtheit und Stolz in der Stimme erzählt. Noch dazu haben die beiden von Anfang an auf Rotweine, vor allem auf die Diva unter den Rebsorten, den Pinot Noir gesetzt. Und das in einem Weinbaugebiet, das sich für seine Weißen rühmt?! „Kauft eh keiner“, irrte ein kritischer Nachbar seinerzeit.

Die Keltenrinder der Schnabels passen gut auf ihren Weingarten auf. Und die Schnabels, dass ihren „Mitarbeitern“ die Weinreben nicht zu gut schmecken.

Im Weingarten grasen Keltenrinder, eine kompakte, etwas kleinere Urrinderrasse, die für den perfekten Naturdünger sorgen. Ihnen müssen wir Weingenießer also besonders dankbar sein. Gestreichelt wird hier aber nicht nur das Vieh, sondern gewissermaßen auch der Wein. So bekommen die Reben zur Stärkung Tee verabreicht: Dazu werden in arbeitsreicher Weise Brennessel, Ackerschachtelschalm und Schafgarbe im Riesenkessel zu einer Sprühbrühe angesetzt.

In der Kellerarbeit wird der frisch abgepresste Wein per Hand in die Fässer gefüllt, und niemals mit einer Pumpe womöglich herumgeschleudert. Auch die Abfüllung der jährlich etwa 12.000 Flaschen erfolgt händisch und sanft. Dabei landet der beinah heilige Wein in Bouteillen, die zuvor nur mit frischem Quellwasser gespült wurden! Was für eine Luxusbehandlung – die man schmeckt. Auch Farbe und Geruch: alles außer gewöhnlich.

Karl Schnabel im Weinkeller
Jeder Handgriff geschieht bei den Schnabels wohlüberlegt und konsequent im Einklang mit der Natur. Im Weingarten und im Weinkeller.

Die Naturweine, die laut Weinbezeichnungsverordung gar nicht so heißen dürfen und daher auch keine Prüfnummer bekommen, sind dicht, voll, bringen intensive Aromen hervor. Etwa der Zweigelt der Schnabels, der hier Rotburger heißt. Einer, der vor Kirschen strotzt, klare Mineralität und Säure erkennen lässt, später auch Marzipan hervorbringt. Der Morillon als Orange Wein, der weiß ausgebaute, aber – wie alle seine Brüder – unfiltrierte Sauvignon Blanc eine Wucht, die allerdings beschwingt.

Meinte man in der Branche noch vor ein paar Jahren, der „Trend“ zum Naturwein sei schon wieder vorbei: Vermessen ist, wer der Natur Trends andichten will! Sie gibt doch uns den Weg vor. Und wir? Dürfen ihr folgen und uns (wieder) mit ihr verbünden.

So überlasse ich den Tee doch gerne den Reben. Und habe am Ende nur noch einen Wunsch: Dass diese Art, möglichst naturnah und natürlich Wein zu machen, ganz rasch die neue Normalität wird!

Der Mensch lebt nicht vom Tee allein: Ich geh dann mal „meditieren“!

Kontakte:

  • Domaene am Seggauberg, Anton und Astrid Hirschmugl, Am Plöckelberg 6 (ehemals Seggauberg 41), 8430 Leibnitz
  • Weingut Tauss, Alice und Roland Tauss, Schloßberg 80, 8463 Leutschach

Fotos: Richter, Schnabel (3), Schmücking (1)

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