Fluss Natisone

Valli del Natisone: Ein Reich der Frauen

Das zweisprachige Grenzgebiet an der Schwelle zwischen Italien und Slowenien ist ein beschauliches Naturparadies mit kulinarischem, kulturellem und sprachlichem Eigenleben. Die Gedanken der Besucher werden stiller. Die Aktivitäten der Bewohnerinnen innovativer.

Wildes Grün überspannt Hügel und Berge so weit das Auge reicht. Gleich hinter der friulanischen Langobardenstadt Cividale eröffnet sich Richtung Slowenien eine eigene Welt bestehend aus vier kleinen Tälern entlang des Flusses Natisone. Begrenzt von den Julischen Voralpen und seinem wichtigsten Gipfel: dem Matajur. Die Straßen werden immer schmäler, kleine Orte werden noch zu noch kleineren Dörfern. Und: In den Natisone-Tälern haben die Frauen das Sagen. Doch sie reden nicht nur gerne, sie tun vor allem! Die „Donne della Benečija“ sind ein Verein von zehn Frauen, deren Augenmerk auf dem Erhalt von Traditionen in Verbindung mit innovativen Ideen liegt: Dabei geht es um altes Wissen, Lebensmittel und Handwerk. Um Unternehmertum und Ausdauer. Um Naturverbundenheit und Liebe zu den eigenen Wurzeln.

Gut für Augen und Magen

Die Donne della Benečija widmen sich der Herstellung von Gubana oder Ricotta, von Marmeladen oder Safran. Oder – der Gastlichkeit. Und immer wieder gemeinsamen Veranstaltungen. Federführend dabei ist Caterina Dugaro, die wie alle „Benečija“-Frauen eng mit dem Land verbunden ist. Sie und ihr Ehemann Terry betreiben im Örtchen Dughe einen Agriturismo. Dort züchten sie Schweine und Rinder für den eigenen Fleischbedarf. Ihre 35 Schafe aber werden nicht gegessen, diese sorgen auf wechselnden Weiden für die wichtige Landschaftspflege.

Mit ihrem Agriturismo ist es den Dugaros gelungen, in einer dünn besiedelten Gegend eine Art sozialen Ankerpunkt zu schaffen. Am Wochenende wird aufgekocht. Caterinas Gerichte sprechen die besondere Kulinariksprache der Natisone-Täler, die Rezepte hegt und pflegt sie mit Hingabe, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Ihre größte Leidenschaft in der Küche sind die Wildkräuter. Die wertvollste Quelle des traditionellen Wissens sind für sie die alten Frauen. Obwohl: „Sie verraten nicht alles“, verrät sie mir hingegen schon. „Man braucht manchmal lange, bis man hinter alle Geheimnisse kommt.“

Zahlreiche Wanderwege durchziehen die Gegend, die intakte Natur lockt auch die Weitwanderer auf dem Alpe Adria Trail herbei. So endet gleich in der Nähe, in Tribil Superiore, dessen 27. Etappe. Mehrere Häuser bieten Übernachtungsmöglichkeiten. Sie sind Teil des sogenannten Albergo Diffuso: Zur Rettung verlassener Dörfer gibt es hier, wie mittlerweile häufig in Italien, das Konzept des „verstreuten Hotels“, wonach Häuser renoviert und unter zentraler Administration touristische Unterkünfte verschiedener Kategorien werden. Unter dem Management von Marzia Ursic, sie ist auch Vereinsobfrau, sind 29 ehemalige Familienhäuser als Ferienunterkunft mit originalem Charme buchbar.

Von Dogen bis Fleckvieh

Die Natisone-Täler waren schon in der Geschichte ein Durchzugsgebiet, zumal sie eine Möglichkeit boten, die hinderlichen Alpen zu umgehen. Der ansässigen Bevölkerung fiel eine Art Wachfunktion gegen unerwünschte Eindringlinge zu, und so wurden sie unter der Republik Venedig mit Steuer- und Justizprivilegien bedacht. Natürlich nützten die Dogen auch die Gelegenheit, sich mit den besten Lebensmitteln zur eigenen Versorgung einzudecken. Und nicht zuletzt mit Holz zum Schiffsbau.

Benečija bedeutet übrigens Venedig und kommt vom slowenischen Wort Benetke – ein Hinweis darauf, dass dieser Teil der Region einst als „Slowenisch-Friaul“ oder „Slowenisch-Venetien“ zur Serenissima gehörte.

Aus den USA hingegen wieder in das Örtchen Tiglio zurückgekehrt ist die junge Elisa Manig – die Liebe zu ihrem Land ließ sie ihr Leben auf den Kopf stellen. Die studierte Radiologietechnikerin ist heute Milchbäuerin mit eigener Käserei. 2019 hat sie begonnen, den längst stillgelegten familieneigenen Bauernhof zu revitalisieren.

Mithilfe ihres Vaters wurde zugewachsene Fläche gerodet und ein Schotterweg angelegt. Stallungen wurden umgebaut, die kleinen Produktionsräume samt Kühlzelle eingerichtet. Im Reiferaum hatten schon die Großeltern ihre Produkte gelagert, damals noch ohne Klimatisierung, es war auch so kalt genug. Und schließlich kaufte Elisa Milchkühe der Rasse Pezzata rossa, also Fleckvieh – sie kommen aus Österreich. Zu Beginn waren es drei Tiere, heute sind es zweiunddreißig.

Elisas Arbeitstag geht von früh bis spät, und wenn sie sonntags einmal nach Grado zum Mittagessen fährt, drehen sich ihre Gedanken ständig um das, was daheim womöglich passieren könnte. „So wie mit kleinen Kindern …“ Aber sie liebt ihre Arbeit und beim Drehen der Käselaibe, einer wiegt immerhin 6 Kilo, steckt sie sich Kopfhörer in die Ohren und absolviert so ihr tägliches „Krafttraining“.

Im kleinen Verkaufsgeschäft bietet sie eine unglaubliche Auswahl: Mittelfester Schnittkäse, der bei ihr „San Canziano“ heißt, weiters Caciotta, Ricotta, Mozzarella, Frischkäse, Joghurt, manchmal Butter und Obers und immer wieder neue kreative Zubereitungen, die sie entwickelt. Elisas Stammkunden kommen regelmäßig aus ganz Friaul-Julisch Venetien hierher. Mundpropaganda und Social-Media-Arbeit – das reicht als Promotion aus, um mit höchster Qualität und Charme zu punkten.

Paradiesische Winkel

Eine weiteres Energiebündel ist Bruna Flaibani, die ihrem Leben 2016 eine Kehrtwende verpasst und sich als echtes Stadtkind der dauerhaften Frischluft verschrieben hat. Sie war mit Ehemann Maurizio und den Kindern von Bologna aus über 20 Jahre lang nach Cividale gependelt, um den Schwiegervater im Weinbau tatkräftig zu unterstützen. Als eines Tages die entscheidende Frage kam, ob sie als Winzerin hier weitermachen wollte, sagte sie zum Glück aller Weingenießer: „Ja!“

Bereits seit 2011 wird bei Flaibani biodynamischer Weinbau betrieben. Für die Powerfrau sind ihre Weinstöcke, die teils zwischen 40 und 90 Jahre alt sind, die wahre „Power“. Kein Wunder, Bruna schenkt ihnen ihre grenzenlose Aufmerksamkeit. Von den sechs Hektar Land der Azienda Agricola sind drei Hektar Weingärten. Was bei dieser kleinen Fläche und dem fabelhaften Alter der Weinstöcke herauskommt, lässt sich schon erahnen: hochqualitative Weine aus Handwerksproduktion, die alles bisher Gekannte auf den Kopf stellen.

Ein Paradies hat sich auch Gabriella Marzaro in einem entlegenen Winkel der Natisone-Täler geschaffen. Sie würde sagen: Die Natur war es. Eingebettet zwischen Wäldern und einer kleinen Siedlung liegt ihre Firma „Angolo di Paradiso“ – Gabriellas Felder, auf denen sie Gemüse anbaut. Unterstützung von Ehemann und Sohn bekommt sie nur bei der schweren „Männerarbeit“ wie Pflügen oder Fräsen. Aber sonst ist sie hier die Chefin.

Mit Folientunnels behilft sie sich gegen das rauere Klima auf circa 500 Meter Seehöhe. Als sie, gebürtig aus Tricesimo, vor einigen Jahren begann, in Cravero sogar Spargel anzubauen, wurde sie schief angeschaut. Doch nicht nur dieser gedeiht bei ihr, sondern auch bunter Mangold, allerlei Radicchiosorten, 300 Tomatenstöcke, rotschalige Kartoffeln, Cicoria und noch ganz viel mehr.

Ihre frischen Schönheiten verkauft Gabriella auf dem Markt in San Pietro al Natisone, immer donnerstagvormittags. Außerhalb der Saison gibt es dann raffinierte Aufstriche, Marmeladen und in Öl Eingelegtes. Die selbst entwickelten und innerhalb der Familie erprobten Rezepte sind ihre wahren Schätze, mit denen sie die Kunden begeistert. „Die Mühe monatelanger Arbeit wird allein an einem Vormittag am Markt belohnt. Wenn ich mit dem zuvor voll beladenen Auto leer wieder heimkomme!“, erzählt Gabriella stolz.

Zusammenarbeit ist bei den Donne della Benečija ein wesentlicher Faktor. So gibt es stets eine Auswahl der eigenen Produkte bei den Kolleginnen zu kaufen. Oder es werden bei Festen die Produkte miteinander so kombiniert, dass sich eine Art Menü ergibt. Auf diese Weise tragen die kreativen Frauen die Liebe zu ihrem Land und ihre Werte nicht nur in die Täler des Natisone, sondern mit ihrer Gastfreundschaft auch weit darüber hinaus.


Alle „Donne della Benečija“: www.ledonnedellabenecija.it

  • Agriturismo mit warmer Küche und Zimmervermietung: La Casa delle Rondini, Caterina und Terry Dugaro, Frazione Dughe 14, 33040 Stregna
  • Biodynamische Weine: Flaibani, Bruna Flaibani, Località Casali Costa 7, 33043 Cividale del Friuli
  • Gubana und andere süße Spezialitäten: La Gubana della Nonna, Via Algida 63, Frazione Azzida, 33049 San Pietro al Natisone
  • Käse und Milchprodukte: Azienda Agricola Manig, Elisa Manig, Via Tiglio 16, 33049 San Pietro al Natisone
  • Frischgemüse, Marmeladen, Eingelegtes: Angolo di Paradiso, Gabriella Marzaro, Località Cravero 64, 33048 San Leonardo, az.agricola.marzaro.gabriella@gmail.com
  • Hotelbetrieb: Albergo Diffuso Valli del Natisone, Slow Valley Valli del Natisone, Marzia Ursic, 33040 San Pietro al Natisone
  • Regionale Küche: Trattoria da Valter, Tiziana Strazzolini (und Giulia Chiacig), Frazione Altana 26, 33040 San Leonardo
  • Biosafran: L’Oro della Benečija, Angela Venturini, Via Correda 3/A, 33049 San Pietro al Natisone, angela.venturini@live.it
  • Polenta, Mehle: Molino ed Essiccatoio Dorbolò, Anna Cassina, Via Biarzo 20, 33049 San Pietro al Natisone, info@dorboloagricoltura.it
  • Traditionelle Holzmasken, Zimmervermietung: La Casa delle Maschere, Michela Predan, Via Clavora 194, 33046 Pulfero

Zum Weiterlesen:

Buchbanner Friaul-Julisch Venetien

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